Philip Traugott (Foto: Alberto Venzago)
Interview mit Philip Traugott

Ein stimmiges, luxuriöses Ganzes

Die renovierte Tonhalle gilt wegen ihrer Akustik als einer der besten Konzertsäle der Welt. Wie fängt man ihren besonderen Klang auf CD ein? Ein Gespräch mit dem Aufnahmeproduzenten Philip Traugott.

Interview: Tiziana Gohl

Herr Traugott, was macht für Sie einen guten Konzertsaal aus?

Meine Vorstellung von einem guten Konzertsaal ist geprägt von meinen Erlebnissen darin. Auch wenn sie sich akustisch und ästhetisch unterscheiden, ist allen guten Sälen gemeinsam, dass sie die Aufmerksamkeit ganz auf die Musik, die Interpret*innen und die verschiedenen Instrumente zu richten vermögen. Sich in der Schönheit des Klangs und der Darbietung zu verlieren: Dafür geht man ins Konzert, und das nimmt man mit von einem Saal.

Sie haben die Tonhalle Zürich erst nach der Renovation kennengelernt. Doch soll der Saal nun noch besser klingen als zuvor. Wie ist Ihr Höreindruck?

Da ich mit den CD-Aufnahmen in der Tonhalle Maag begonnen habe, fehlt mir die Vergleichsgrundlage. Doch soweit ich weiss, ist in der frisch renovierten Tonhalle die neue Nachhallzeit von 2,1 Sekunden eine oder zwei Zehntelsekunden kürzer als zuvor. Das ist schwer herauszuhören, aber für den Gesamteindruck durchaus von Bedeutung. Ich verbringe ja die meiste Zeit damit, dem Orchester bei den ersten Proben in einem leeren Saal oder im Regieraum über Lautsprecher und Kopfhörer zuzuhören. Infolgedessen vernehme ich eine längere Nachhallzeit und dichtere Klangakkumulationen. Normalerweise würde ein Publikum helfen, diese zu mindern.

Philip Traugott und Paavo Järvi überprüfen die Aufnahmen. (Foto: Alberto Venzago)

Wie würden Sie den Klang der Tonhalle Zürich beschreiben?

Es ist ein warmer, manchmal sogar überwältigender Klang, der einem entgegenkommt. Zugleich ist da auch eine Klarheit, die es erlaubt, die individuellen Klangfarben einzelner Instrumente oder Instrumentengruppen innerhalb des Orchesters herauszuhören. Vor allem die Kontrabässe sind tief, klar und kraftvoll – eine wunderbare Eigenschaft, die nicht viele Säle haben, und die wohl auf den neuen mitschwingenden Boden zurückzuführen ist. Gleichzeitig verbinden sich diese Klänge zu einem stimmigen, luxuriösen Ganzen. Die Frequenzen sind über den gesamten Bereich sehr gleichmässig und das dynamische Spektrum ist ziemlich breit. Der Saal und das Orchester vibrieren und arbeiten als Einheit zusammen: Das ist eine befriedigende und inspirierende Kombination.

Wie gelingt es Ihnen, diese Qualitäten für Ihre Aufnahmen zu nutzen?

Da sind viele verschiedene Faktoren im Spiel. So muss unser Aufnahmeteam mit dem Toningenieur Jean-Marie Geijsen den Sitzplan des Orchesters und die Grösse der Bühne berücksichtigen, um die von uns ausgewählten Mikrofone richtig zu platzieren. Je nach Werk, das eingespielt wird, gibt es da grosse Unterschiede. Was wir machen, ist sowohl eine Wissenschaft als auch eine Kunst – und der Saal ist ein nicht so stiller Partner. In der Tonhalle Zürich profitieren wir von der Klarheit der Akustik; soweit ich weiss, können sich die Musiker auf der Bühne untereinander gut hören, und auch die Details einer Partitur kommen gut zum Tragen. Darüber hinaus bietet uns der Saal auch jenseits der Bühne viel Raum, mit dem wir je nach Repertoire arbeiten können.

Wenn der Saal leer ist, sorgt ein Akustikvorhang für ideale Verhältnisse. (Foto: Alberto Venzago)

Mit welchen Herausforderungen sind Sie hier konfrontiert?

Bei grösser besetzten und lebhafteren Stücken kann es etwas schwieriger werden, die Details zu kontrollieren, da der Saal alle Klangfarben so wunderbar mischt. Demzufolge müssen wir auch die Pegel unserer verschiedenen Haupt- und Spotmikrofonspuren anpassen. Wenn wir auf diese Weise auf den Saal reagieren und die Balance jeder Mikrofongruppe oder jedes einzelnen Mikrofons korrigieren, können wir den grossen Dynamikund Frequenzbereich des Saals voll ausnutzen. Manchmal müssen wir aufgrund von Fehleinschätzungen bei den Orchestrierungen der Werke etwas mehr von einzelnen Instrumenten oder Gruppen dazumischen. Doch meistens versuchen wir, sozusagen unsichtbar zu sein und die Raumakustik so getreu wie möglich wiederzugeben.

Für die CD-Aufnahmen kombinieren Sie Konzertmitschnitte mit Material aus den sogenannten «Patch- Sessions» ohne Publikum. Wie gelingt da akustisch die Balance?

Unser Tontechniker-Team und die Tonhalle-Orchestertechniker haben die Akustik analysiert und getestet. Die Lösung ist, riesige Vorhänge von der Decke bis zum Boden über die ersten Sitzreihen zu hängen, um die Nachhallzeit zu dämpfen, ähnlich wie das bei einem Publikum der Fall ist. So können wir bei Bedarf Aufnahmepassagen aus den Konzerten, der Generalprobe und den «Patch-Sessions» kombinieren.

Zurzeit sind Sie dabei, Bruckner- Sinfonien einzuspielen. Laut Music Director Paavo Järvi passt Bruckner perfekt zur DNA des Tonhalle- Orchesters Zürich. Passt Bruckner auch zur akustischen DNA des Saals?

Dieser Saal kommt Bruckners Kompositionsstil mit seiner typischen blockhaften Aneinanderreihung von Phrasen und den sich überlagernden Klangschichten tatsächlich entgegen. Aber ich bin auch beeindruckt, dass der Saal die riesigen Klangmassen von Chor und Orchester in Carl Orffs «Carmina Burana» selbst in den Fortissimo-Passagen mühelos bewältigte. Ganz zu schweigen von der Präzisionsarbeit in John Adams’ virtuosen Orchestrierungen, die so viele individuelle Stimmen in sich vereinen. Da bringt die Akustik wirklich schön zur Geltung, wie flexibel und sorgfältig das Tonhalle-Orchester Zürich und Paavo Järvi die verschiedenen Kräfte ausbalancieren.

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veröffentlicht: 19.01.2023